Als ich Anette Völker’s soeben fertig gestellte Zeichnung in der Arbeitswoche vor Pfingsten 2009 im Kunst-Atelier der Greifenwerkstatt erstmals sah, war ich spontan fasziniert von ihrem Bild.
Der Gesamtblick auf das 50 Zentimeter breite und 70 Zentimeter hohe Werk, dass mit einem schwarzen Fineliner der Stärke 0,5 Millimeter auf dünnes, hellgraues Papier gezeichnet wurde, ist beeindruckend. Zu sehen sind 38 verschiedene, etwa neun Zentimeter hohe Figuren. Jeweils sechs, der ausschließlich aus Konturen bestehenden Körper, befinden sich in einer Reihe nebeneinander, in insgesamt sechs Linien untereinander. In den Reihen drei und sechs ordnete die Atelier-Künstlerin Anette Völker allerdings sieben Figuren nebeneinander an.
Bei den Körpern dominieren die markanten Gesichter. Denn die Figuren zieren weder Arme oder Hände, noch Beine oder Füße. Sie bestehen aus einem schlichten Rumpf, der an den Corpus einer russischen Matroschka erinnert. Die Köpfe haben auch keine Ohren oder Haare.
Die deshalb das Auge des Betrachters prägnant anziehenden Gesichter, bestehen zum Anfang aus zwei Augen, Nase, Mund, angedeuteten Wangenknochen, manchmal auch hervorgehobenen „Bäckchen“ und selten einem Bart. Falls die Künstlerin ihr Werk oben links begonnen und von dort aus kontinuierlich fortgeführt hat, werden ihre Details in den Gesichtern fortlaufend immer seltener und nehmen zum Ende hin ganz ab.
Ab Reihe fünf besitzt nur noch ein Gesicht einen Mund, nur zwei Köpfe haben noch eine Nase, der Rest der Figuren besteht nur aus zwei Augen und Wangenknochen. In der letzten Serie zeichnete Anette Völker in ihre Figuren lediglich nur noch zwei Augen ein, die nun ganz nach oben in die Nähe der Schädeldecke gerückt sind, die Körper wie Gespenster aussehen lassen. Dieser gespensterhafte Eindruck beginnt bereits in der Linie zuvor. Gespenster, die jedoch nicht unmittelbar angst einflößend auf mich wirken. Ich finde die beiden Augen unter ihren weißen Betttüchern (so blicken sie) eher neugierig und beobachtend in die Welt schauend.
Die Blicke der Gesichter finde ich sehr unterschiedlich: Gesicht eins schaut konzentriert - zubeißend, Nummer zwei negativ betroffen, das Dritte leicht heiter, während der vierte Gesichtsausdruck konsterniert wirkt. Gesicht fünf blickt verärgert, Nummer sechs ernst und die zwölfte Figur aufmerksam - beeindruckt. Das einzige wirklich lächelnde Gesicht ist Nummer 22 und befindet sich etwa in der Bildmitte.
Den Namen des Bildes gab Anette Völker auf Nachfrage mit „kann sein“ an. Vermutlich ist es die starke, kontinuierliche Veränderung in den jeweiligen Gesichtern, die mich so stark anspricht und interessiert. Jedes der 38 Gesichter blickt tatsächlich anders in die Welt.
Diese Grafik wurde am 5. Juni 2009 bereits verkauft.
Text und Foto: D. Willi Bauer (Atelier)